…irgendwo nirgendwo…

Ausstellung bei der code-x GmbH, Paderborn

  • 10.02.2018 bis 23.06.2018

Im freien Experiment begibt sich das Ich, losgelöst von Zeit und Raum, auf den Weg in die eigene Terra ingognita, den Bereich des Selbst im Fluss. Künstlerisches Explorieren als ungerichtete Suche im zunächst unbestimmten Raum, evoziert durch unverhoffte Entdeckungen des Zufalls, Materials und der Selbstprovokation, legen ungeahnte utopische Topografien des Hier- als auch Daseins frei. Orte der Erinnerung werden konkret, finden in der zeitlichen Ausrichtung zwischen dem Hier und Dort, zwischen Aufbruch und Ankunft, zwischen Nirgendwo und Irgendwann, einen Ort im Ich. Jedes Bild beherbergt Innenwelten und beschreibt meine ungewissen Reisen in ein ausgefülltes Nirgendwo, in dem das Ich seinen Platz gefunden und ein Höchstmaß an künstlerischer Freiheit freigesetzt hat.

Danke an Sophia Herber (M.A., Kunsthistorikerin, Köln) für die einleitenden Worte (siehe unten).

Hanswerner Herber

Bilder und Fotos der Ausstellung

Ein paar Eindrücke der zurückliegenden Ausstellung

Weitere Infos und Texte zur Ausstellung

Begleittexte und Anderes, die die Ausstellung ergänzen

Einleitende Worte von Sophia Herber

Guten Morgen meine Damen und Herren,

mein Name ist Sophia Herber und – ja – die Namensgleichheit mit dem Ausstellenden hat ihren Grund darin, dass ich seine Tochter bin. Naturgemäß gab es daher schon verschiedene Anlässe, zu denen mein Vater die Stimme erhoben und über mich gesprochen hat. Umso mehr freue ich mich, den Spieß heute umdrehen zu dürfen.

Zunächst möchte ich mich – auch und vor allem im Namen von Hanswerner Herber – bei Stefan Freise und dem gesamten Team von code-X – Internet und Marketing bedanken. Sie haben nicht nur ihre Räume zur Verfügung gestellt, sondern leben bereits seit einiger Zeit und noch bis zum 23. Juni mit den ausgestellten Bildern. Damit sind sie heute die eigentlichen Expertinnen und Experten für das, was Sie alle an den Wänden sehen.

Lassen wir den Blick einen Moment durch den Raum schweifen. Und wenn Sie alle gesehen haben, die Sie kennen und mit denen Sie gleich noch ein bisschen Klönen wollen, sehen Sie die Protagonisten des heutigen Tages: Die Bilder. Was fällt Ihnen auf?

Vielleicht die starke Farbigkeit? Vielleicht die strukturierten Oberflächen? Vielleicht zuerst auch einmal ganz einfach die Abwesenheit einer erkennbaren Landschaft oder Figur?

Es handelt sich – bis auf zwei kleine eindeutig landschaftliche Ausnahmen – um abstrakte Bilder. Bilder, die sich dem sogenannten Informel zugehörig fühlen. Diese Kunstrichtung, das Informel, kam in der Zeit nach dem 2. Weltkrieg in Europa auf und spielte, anders als andere abstrakte Kunstrichtungen, nicht mit klaren geometrischen Formen, sondern mit dem freien Fluss von Linien, Farben und Texturen. Die Formlosigkeit wurde zum Inbegriff dieser Richtung. Doch schauen wir nicht auf den historischen Ursprung, sondern auf das, was wir hier vor Augen haben.

Sie sehen durchbrochene Flächen, aufgelöste Ränder, Linien, die aus fließender Farbe entstanden sind, nebeneinander gesetzte, nicht klar konturierte „Flecken“, dicke Krusten, übereinander liegende Gewirre aus farbigen Bahnen, Spuren, die von Pinseln stammen, aber auch von Rakeln, Messern, Spachteln. Und wenn Sie näher treten, werden Sie zum Teil körnige Partien erkennen, die verraten, dass der Farbe hier etwas beigemischt wurde. Kaffeesatz kann das sein, aber auch Rost, Sand, Gips…

Hanswerner Herber betont, dass für ihn das Malen ein Prozess ist. Ein Fortschreiten von Schicht zu Schicht, Strich zu Strich, Farbe zu Farbe. Und diesen Prozess erlebt er, im besten Fall, als rauschhaft. Woran liegt das?

Das Wesen all der Bilder, die Sie hier sehen, liegt im Experimentieren, im Zufälligen. Es liegt – und das scheint mir der zentrale Begriff zu sein: Im SPIEL.

Das ist, für diejenigen die Hanswerner Herber kennen, zunächst einmal nicht so naheliegend, wie man denken möchte. Als Mann des Wortes und des Denkens, findet er – ich denke, das darf ich so sagen – hier eine andere Ausdrucksform, in der das Denken keine Rolle spielt.

Ganz hingegeben an die Materialien, das Ausprobieren und den Zufall, lässt er Farben verlaufen, pinselt und rakelt und lässt sich begeistern, von dem, was da vor seinen Augen entsteht.

Was Sie hier sehen, ist das Ergebnis von Hingabe. Sich den Materialien hinzugeben, ihnen zu vertrauen und all die „Fehler“, die dabei entstehen, wohlwollend in Kauf zu nehmen und zu integrieren, ist ein Prozess, der gar nicht so einfach ist. Es erfordert das Loslassen von der Idee, vom Wollen vom vielleicht Nicht-Können. Die Aussöhnung mit dem scheinbar Falschen. Die Unermüdlichkeit im Fortschreiten und Weitermachen. Und das gilt zumal für den Autodidakten, der er ja ist.

Was bedeutet Spielen? Haben Sie Kinder, Enkelkinder? Haben Sie sie beim Spielen beobachtet? Haben Sie selbst einmal wieder die Karten, Mensch ärgere Dich nicht oder Malefiz herausgeholt?

Ich gebe Ihnen ein paar assoziativ zum Wort Spielen gesammelte Begriffe. Lassen Sie diese auf sich wirken:

  • Versenkung
  • Konzentration
  • Selbstvergessenheit
  • Freude
  • Ernst
  • Phantasie
  • Eifer
  • Begeisterung
  • Ausprobieren
  • Lachen
  • Integrieren
  • In Rollen schlüpfen
  • Bei Sich Sein
  • im Augenblick Sein

Novalis sagt: Spielen ist Experimentieren mit dem Zufall. Und folgen wir Friedrich Schiller, so ist der Mensch nur dort wirklich Mensch, wo er spielt.

Hanswerner Herber führt in Vorbereitung dieser Ausstellung das Spiel fort und wird damit, für diejenigen die ihn kennen, doch wieder seiner philosophischen Natur gerecht: Zu allen Bildern hat er Titel und Texte gefunden, die eine weitere Ebene zu dem hinzufügen, was zu sehen ist.

Jedoch ist keiner dieser Texte und keiner der Titel etwas Festgefügtes. Auch ein anderer Titel oder Text wäre in vielen Fällen denkbar.

Es ist ein Spiel mit Assoziationen, das Spaß machen darf.

In diesem Sinne wünsche ich Ihnen viel Spaß beim Betrachten, Lesen, Assoziieren und Reden. Nutzen Sie die Gelegenheit, Hanswerner Herber selbst auf den Zahn zu fühlen und haben Sie einen angenehmen Vormittag.


Gedanken zum Thema von Hanswerner Herber

Irgendwie ist letztlich jedes Irgendwann ein Irgendwo. Bleibt die Frage nach dem Nirgendwo.
Der Mensch besitzt kein Organ für die Zeitwahrnehmung. Zeit wird in der Erinnerung verortet. Jeder ist irgendwo das erste Mal in ein Klassenzimmer getreten, das erste Mal vom 3-m-Brett gesprungen, das erste Mal geküsst worden. Die Qualität des Ortes bestimmt den Raum, den Zeitraum, in der die gefühlte Zeit sich dehnt oder schrumpft.

Was macht unser Zeitempfinden aus? In der Rückschau sind es unsere Erinnerungen. Während des Erlebens ist es die Aufmerksamkeit. Wenn ich mich in der Schlange im Supermarkt auf die Zeit konzentriere, scheint sie still zu stehen. In einer geistreich-fröhlichen Gesprächsrunde verfliegt sie gar. In der Meditation tut sich mitunter ein Nirgendwann auf. Liegt darin das Geheimnis des Nirgendwo? Die Verortung des Nirgendwo führt nirgendwohin. Erlaubt uns die Irgendwann-Irgendwo-Koinzidenz auch einen Nirgendwann-Nirgendwo-Zusammenhang herzustellen?

Beim Malen wird der Ort dann vergegenständlicht, er wird konkret. Bleibe ich dabei im Kopf, entsteht eine Spannung, allerdings nur in mir und nicht im Bild; dieses bleibt irgendwie leer. Es entsteht eine äußere wie innere Dystopie. Kein glücklicher Ort!

Vielseitige experimentelle künstlerische Praktiken öffnen in ihrer Abstraktion Zeit-Räume der Kindheit, in denen die Zeit im Fluge vorbeizieht. Identitätsbestimmende Erinnerungen werden in diesen Räumen platziert und erzählen Geschichten eines konkret gewordenen topophilen Raumes. Im absichtslosen, informellen Experimentieren, entsteht im Prozess des Aufbauens und Zerstörens Utopia: Das Nirgendwo auf der Leinwand ist das Fehlen des Wann, die Präsenz der Zeitlosigkeit – ein glückseliger Ort!

„Das Geheimnis der Freiheit ist der Mut“

Perikles, Athen