Unschärferelation

Werke auf Steinpapier

Ausstellung in der Ärztekammer Westfalen-Lippe, Münster

  • 04.03.2022 bis 29.04.2022

Mimesis, in der Poetik des Aristoteles die „Nachahmung“, bedeutete ursprünglich das Vermögen mittels einer Geste eine Wirkung zu erzielen.

Im Moment des ‚So-Sein‘ verbinden sich die initiale malerische Geste, ihre damit verbundenen Zufallsaspekte und Wirkung zu einer komplementären Synchronizität aus der eine spezifische Spannung von Koinzidenz und Kausalität hervorgeht. Das WIE der Beobachtung erzeugt das Beobachtete.

Im Augenblick der aktuellen Beobachtung komplexer Strukturen, Schichten und Irritationen im Zufälligen machen die Malerei zum Ereignis, dass sich zwischen Bild und dem subjektiven seelischen Zustands des Beobachters abspielt.

„Nachahmung“ versteht sich hier als Abbild der vielfältigen Synchronizität, wie sie für den Aufmerksamen regelmäßig im Alltag (und in der Therapie) auftreten.

Danke an Artemis Herber für ihren Begleittext (siehe unten).

Hanswerner Herber

Bilder und Fotos der Ausstellung

Ein Auszug der ausgestellten Bilder

Weitere Infos und Texte zur Ausstellung

Begleittexte und Anderes, die die Ausstellung ergänzen

Wo sind wir, wenn wir in der Welt sind?
Wir sind in einem Außen, das Innenwelten trägt.

Peter Sloterdijk


Begleittext von Artemis Herber

Der Titel der Ausstellung “Unschärferelation”, fasst die Spannungen zwischen dem Faktischen und Unbestimmtheiten in den intuitiven Werken von Hanswerner Herber exemplarisch zusammen.

Im Wechselspiel von Material, Farbschichten und vielfältigen Verfahrensweisen, begibt sich Hanswerner Herber auf die innere Suche, die sich komplementär der Außenwelt entgegenstellt; dabei spürt der Künstler den Energien von Farben nach und setzt Impulse von außerordentlicher Energie, die wie er schreibt, den Moment des ‚So-Sein‘ erfahrbar machen.

Das innere Auge verstärkt den Blick auf das Außen – die Motive sind nicht vorstellungsfrei, sondern oft angeregt durch Landschaften, Orte, Mythen und Narrative – und öffnen einen Spielraum von Kontingenz und schöpferischen Potenzial, dass mit jedem Gemälde neu entfacht wird. Informel oder Tachismus beeinflusste Spuren im Bild zeugen von einer Antriebskraft, die allerdings keine zerstörerische Heftigkeit tragen, sondern das Spiel des Evokativen herausfordern. Hanswerner Herber attackiert nicht das Papier wie Emil Schumacher der „eine Linie zur Abwehr oder zum Angriff“ reißt, sondern sieht in ihr die Eruption in ungeahnte Tiefen von Innenwelten.

Hanswerner Herber wird ähnlich wie Anselm Kiefer (1945) 1946 aus dem behüteten Mutterbauch in die offenen Krater der Bombenlöcher Paderborns hinein geboren. Landschaften und Mythen beherbergen die verborgenen Katastrophen früher Kindheitsjahre. Bei Anselm Kiefer materialisieren sich die Erinnerungen als Narben durch heftige Strukturen in der Oberflächengestaltung bildfremder Materialien. In den Werken von Hanswerner Herber manifestiert sich der Wille zur inneren Freiheit, des ‚Außer sich Seins‘ als alternative zum Faktischen.

Der Künstler arbeitet vorzugsweise auf Steinpapier – öl- und wasserresistent, lebensmittelecht, antistatisch, schwer entflammbar, nicht körnig und reißfest, aus Kalziumkarbonat (Kalkstein) und Polyethylen-Harz (HDPE) als Bindemittel hergestellt – einem Malgrund, der nichts absorbiert und dabei alles zum Vorschein bringt, auch das was der Künstler wieder abträgt, verwischt und übermalt. Das Eindeutige verschwindet, das Verschwundene wird zur Gegenwart des Bildes. Das Figurative wird abstrahiert und in der Abstraktion findet der Künstler die Notation, den Klang, den Rhythmus, seinen „inneren Klang“ (Wassily Kandinsky). Nachkriegszeit, Kalter Krieg, Atomzeitalter, Naturzerstörung, Pandemie und das Zerbrechen von Demokratien, markieren die Lebenslinien einer Generation, die den Krieg nicht direkt erfahren hat, aber Episoden von massiver Instabilität aushalten.

Diskontinuitäten der Wirklichkeiten spiegeln sich im Aufarbeiten von Widersprüchen und Brüchen im Werk von Hanswerner Herber. Dabei geht er im malerischen Prozess immer wieder das Risiko ein sich nicht festzulegen, stattdessen das prozesshafte als Realität festzuhalten und solange fortzufahren, bis er den Grund des eigenen Seins berührt – in sich ruht – und dort für die Dauer des Bilder Machens Wurzeln schlägt.  

Im Außen entsteht das Potential zur Freiheit, dass durch Innenwelten gestaltet wird.  Der Wille zur Freiheit, zum Spiel, zur Neugierde und letztendlich zur Gestaltung will erprobt werden. So gibt Hanswerner Herber jedem Element im Bild in jedem Augenblick die Möglichkeit sich zu entfalten. Jeder Pinselstrich, Impuls und jede bildnerische Aktion ist eine Entscheidung zur Veränderung und gleichzeitig eine neue Chance für das Mögliche, noch nicht Gelebte. Malen, Übermalen, Schichten, Verwischen, revidieren heißt: sich eine Option geben. Im Bild gibt es keine Endgültigkeit, sondern eine Zunahme von Ausschließlichkeit – Unschärferelation. 

Artemis Heber

Baltimore, den 7. März, 2022