Zu wahr, um schön zu sein

Ausstellung im Forum Junger Künstler, Gewölbesaal, Schloss Neuhaus

  • 14.10.2023 bis 29.10.2023

Bei Platon existieren „Das Gute, das Schöne und das Wahre“ als hinterlegte Ideen in einer Welt hinter der materiellen Welt, metaphysisch. In diesem Ideenhimmel existieren sie als Ideen in reiner Form.

Das griechische Wort für Wahrheit ist αληθεια („aletheia“) setzt sich aus der Verneinung (α-) und dem Verb (lanthano) verbergen zusammen. Wahrheit ist also das Unverborgene und damit schön und gut.

Die Erfahrung des Schönen schaffe eine ästhetische Befriedigung, welche die Menschen zu gutem und wahrem Handeln verleitet, so der Gedanke im 18./19. Jahrhundert.

Dem hält Friederich Nietzsche entgegen: „An einem Philosophen ist es eine Nichtswürdigkeit zu sagen: Das Gute und das Schöne sind Eins: fügt er gar noch hinzu „auch das Wahre“, so soll man ihn prügeln. Die Wahrheit ist hässlich: Wir haben die Kunst, damit wir nicht an der Wahrheit zu Grunde gehen.“

Die Trias des Wahren, Schönen und Guten ist heute komplett aus der Mode und wirkt wie aus der Zeit gefallen, doch latent ist sie allgegenwärtig und fordert immer aufs Neue einen eigenen Standpunkt ein.

Danke an Artemis Herber für ihren Begleittext (siehe unten).

Hanswerner Herber

Bilder und Fotos der Ausstellung

Ein Auszug der ausgestellten Bilder

Weitere Infos und Texte zur Ausstellung

Begleittexte und Anderes, die die Ausstellung ergänzen

Statement von Hanswerner Herber

Beobachtung und Beachtung synchronistischer Ereignisse faszinieren mich in meiner ärztlichen Arbeit. Die offensichtliche Non-Kausalität von Geschehnissen bei gleichzeitiger Anmutung einer sinnhaften Verknüpfung finden sich in meinem künstlerischen Schaffen wieder: die Freiheit tiefste Empfindungen in ihren Wechselwirkungen gestaltend abzubilden.

Mit dem Gebrauch von Leinwand, Steinpapier, Holz als Grundfläche, von Acryl, Tusche, Kreiden, Beize oder Schellack als Malmittel, sorgt die sich einstellende affektive Dynamik des Eindrucks für das Erscheinen des Gefühlsraums, der in der Projektionsfläche des Malgrunds zum Ort wird. Dabei leiten Neugier am Entdecken von Strukturen, Materialien und Räumen, die aus Farben, Kontrasten und Gesten entstehen, den Prozess. “Misserfolge” werden integriert, indem sie als Ausgangspunkt für den nächsten Arbeitsschritt, ein neues Experiment oder eine unerwartete Entdeckung im Gestaltungsprozess motivieren. Die grundlegende Erfahrung einer rauschhaft erlebten dialogischen Freiheit bilden mein künstlerisches Prinzip prozessorientierten Handelns. Erinnerungen evozieren Empfindungen, lösen Assoziationen aus, rufen innere Bilder hervor, die ineinanderfließen, sich auslöschen, sich entziehen, zu neuem changieren. Heraklit nachempfunden gebiert die Zeit einen Fluss, der an seinen eigenen Ufern nagt und dabei zugleich den inneren Betrachter und den betrachteten Gegenstand ertränkt.


Begleittext von Artemis Herber

Zu wahr, um schön zu sein…

Die Idee des Wahren, Schönen und Guten ist heute aus der Mode und wirkt wie aus der Zeit gefallen. Hanswerner Herber macht jedoch mit seinen aktionsreichen, gestisch verlaufenden und ungegenständlichen Farbräumen und abstrahierten Landschaften latent auf die Existenz einer gesellschaftlich relevanten Tugend aufmerksam, die aus ihrer Antiquiert revitalisiert werden will.

Latent ist sie allgegenwärtig und fordert immer aufs Neue einen eigenen Standpunkt ein. Wenn das Wahre durch das Offenlegen des Verborgenen in Erscheinung tritt, muss es bei uns Heutigen nicht unbedingt schön sein.

Was gibt es zu sehen in dieser Ausstellung?

Farbräume! Oft ungegenständlich, mal als abstrahierte Landschaften, mal wolkig.

Ähnlich wie Anselm Kiefer (1945 geboren), der seine Kindheit zwischen Trümmern verbracht hat, so werden Hanswerner Herber‘s Trümmerfelder des Kriegsendes als Spielplatz kindlicher Träume belegt und die Ruinen zum Erinnerungs- und Werkplatz kreativer Prozesse aktiviert. Hanswerner Herber erzählt die Geschichte einer Generation, die voller Skepsis das Grau der Nachkriegszeit und die Gräuel der vorausgegangenen „1000 Jahre“ hinterfragt. Das vor allem durch die griechische Mutter (und erste Immigrantin Paderborns) hellenistisch inspirierte Elternhaus und die damit verbundene Wahl der Schuljahre im Gymnasium Theodorianum zu Paderborn öffneten die Auseinandersetzung mit der platonischen Trias des Wahren, Schönen und Guten, die ein Leben lang anhalten sollte.

Hanswerner Herber führt einen Diskurs über das Hässliche – das Unschöne und die bewusst kunstlose Geste aus Aktion und Informel – dass er zunächst als wahr und als schön empfindet: und deshalb ist es gut und tauglich (im Griechischen auch als Arete beschrieben).

Dabei begibt er sich mit Kleksen, malerische Aktionen in heftigen Gesten und ihren Erkundungen des Malerischen mit Resten von wässrigen Farbpfützen, Verwischungen, Übermalungen und grafischen Intermezzi von Durchkreuzungen auf Spurensuche – eine überzeugende Wahrheitssuche, die dem Bild immanent ist und sich nur über die Erfahrung des Machens manifestieren kann.

Die Erfahrung des Schönen schaffe eine ästhetische Befriedigung, welche die Menschen zu gutem und wahrem Handeln verleitet, so der Gedanke im 18./19. Jahrhundert. Dem hält Friederich Nietzsche entgegen: „An einem Philosophen ist es eine Nichtswürdigkeit zu sagen: Das Gute und das Schöne sind Eins: fügt er gar noch hinzu „auch das Wahre“, so soll man ihn prügeln. Die Wahrheit ist hässlich: Wir haben die Kunst, damit wir nicht an der Wahrheit zu Grunde gehen.“

Das Bild im Ergebnis liefert keine objektive Norm, wenn Anselm Kiefer über Werte im Gespräch mit Klaus Dermutz (2019) anmerkt: „Wir reden nicht über den Sinn, wir reden über das, was wir tun, auch wenn es keinen Sinn hat.“

Die Aussagekraft des Werkes liegt im Subjektiven begründet, im ständigen Erforschen des Tiefgründigen, Abgründigen und noch nicht Erlebten, so wie es im Bildermachen erfahrbar wird. Die Macht des Bildes, nicht die Macht des Künstlers liegt im subjektiven Verborgenen, das in der Lebendigkeit der Farbräume und lebendigen organischen Kompositionen zum Ausdruck kommt.

Dass Hässliche ist wahr und deshalb schön, weil es aus gutem Grund das Sein dieser Welt durch die Kunst hervorbringt – Kunst drückt eine existenzielle Erfahrung aus: durch die eigene Biographie begründet, bis hin zum künstlerischen Tun selbst. Das, WAS IST im Bild und in der künstlerischen Aktion, ist vornehmlich wahr: Nicht die Illusion des Können Wollens als Norm, sondern Selbstakzeptanz des “Nicht-Könnens”, des Atavistischen, des Spontanen und der Aktion bestärkt die Macht des Bildes, das danach fragt, WAS IST.

Wenn Jeff Koons wegen der Perfektion seines Finishes bewundert wird, hält er entgegen: „Perfektion – ich glaube nicht an Perfektion, ich bin kein Perfektionist. Ich glaube, Perfektionismus ist wie ein Hund, der seinen Schwanz jagt. Es ist ein Fetischismus, der nirgendwo hinführt. Aber ich glaube an Kommunikation, Respekt und Vertrauen.“

Kunst machen und die Macht der Kunst ist bei Hanswerner Herber eine Tugend des Wahrheitssuchenden. Die Suche nach Orientierung in einer Welt der Orientierungslosigkeit, damals schon voller Fragen, aber abgespeist mit Antworten, die nach 1945 inhaltslos geworden waren und heute in einem Vakuum von Hypes und Pseudo-Werten von Machtagenturen implodieren, wird auf unendlichen Wegen seiner abstrakten und abstrahierten Werke ausgelotet.

Die Autonomie des Bildes und damit seine Wahrheit und Schönheit beruht auf der Reflektion und dem Verstehen einer Verfasstheit des Seins in dieser Welt – sein Zweck ist die Zwecklosigkeit der Kunst und damit ist die Kunst der letzte Raum von Freiheit. Wenn Wertediskussionen fehlleiten, dann öffnet die künstlerische Orientierungssuche Wege zu dem, was der Künstler in seiner Freiheit als Wahrheit empfindet.

Hanswerner Herber hängt demzufolge nicht der Funktion des Bildes nach und ist auch von Objektivierungssversuchen angetrieben, sondern er findet Wahrheit im Material selbst. Er tritt, wie er selbst sagt in “die Erfahrung, die im Umgang mit dem Material entsteht. Die Technik und die Mittel tragen in sich eine Antwort, die als stimmig erlebt wird.” Der Künstler sondiert spielerisch, manchmal verträumt und selbstvergessen und enthüllt dabei durch das Suchen in visuell nachvollziehbaren bildnerischen Elementen einen“ Idealzustand“, der das beschreibt was ist – nicht sein soll – und damit die eigentliche Macht des Bildes zum Ausdruck bringt: Das Wahre, Schöne, und Gute.

Baltimore, den 26.9. 2023

Artemis Herber